Der Status quo der Beihilfenkontrolle und der Buchbinder Wanninger
Es gibt in der Europäischen Beihilfenkontrolle schon seit Längerem ein Zauberwort, es heißt im EU–Jargon „Big-on-Big, Small-on-Small“. Damit möchte die Europäische Kommission uns sagen, dass sie sich der großen, wirklich bedeutsamen und für den Zusammenhalt dieser Union profund essentiellen Fälle prioritär annehmen will, während sie die weniger Wichtigen, in der geografisch ostwärts gerichteten süddeutschen Mundart gemeinheim als „Krautler & Gratler“ tituliert, „links liegen“ zu gelassen gedenkt.
Eigentlich ist dies, also das „Big-on-Big, Small-on-Small“ fundamental meritorisches Gedankengut.
Wie steht es indes um dessen Implementierung? Also wie setzt die Kommission dieses wunderbare Theoretikum in ihre Alltagsarbeit um? M.a.W. kümmert sich die Kommission um die großen, für den Binnenmarkt und den Wettbewerb in dieser Union so wichtigen Fragen?
Hier fällt m.E. die Antwort durchaus zweischneidig aus.
Zum ersten, schauen wir einmal auf die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, die sich seit ihrer Inauguration im Jahre 2014 bereits zum dritten Male „gehäutet“ hat, und jedes Mal ist sie monströser, unverständlicher und unkommentierbarer geworden. Und bitte: Ich rede hier aus eigener Erfahrung, respektive „Leidensgeschichte“, weil ich soeben das Manuskript der vierten Auflage meines Kommentars eingereicht habe und all dieses habe abarbeiten müssen. „Magnum gaudium“ in der Diktion des vatikanischen Willkommensgrußes für einen neuen „Zauberfischer“ ist hiermit wahrlich nicht verbunden.
Zum zweiten, und hier schauen wir einmal auf den im vorigen Absatz bemühten Willkommensgruß des „magnum gaudium“. Dieser ist tatsächlich Wirklichkeit geworden, denn die Kommission hat es im letzten Jahr bewerkstelligt, in zwei Fällen (SA.44944 betreffend steuerliche Vorteile für deutsche Spielbanken und SA.48580 betreffend bestimmte Vorteile zugunsten der WestSpiel) gegen Deutschland gerichtete Rückforderungsbeschlüsse zu erlassen – und damit ihr lange vernachlässigtes „Zauberwort“ mit neuem Leben erfüllt, nachdem dieses über mehr als sechs Jahre nicht mehr ausgesprochen worden war.
Dieses „magnum gaudium“ findet eine Parallele in der wunderschönen Geschichte des unvergesslichen Karl Valentins in seiner Rolle als Buchbinder Wanninger. Besagter Buchbinder Wanninger ruft bekanntlich die Firma Meisl an, um ihr anzukündigen, dass die von dieser (gemeint ist der Firma Meisl) in Auftrag gegebenen gebundenen Buchexemplare fertig seien und er auch gleich die Rechnung mit schicken oder mit bringen wolle. Nun wird ja der Buchbinder Wanninger multiple Male verbunden, bis er am Ende des Tages auf eine Dame stößt, die höchsterfreut über die Nachricht ist, dass die Bücher nun fertig seien, dem Herrn Wanninger indes mitteilt, dass sie ihn auf den nächsten Tag vertrösten müsse, weil ja nun schon Feierabend sei.
Irgendwie passt diese Parallele auf den Status quo der EU – Beihilfenkontrolle:
- Die ständigen Weiterleitungen, die der Buchbinder Wanninger über sich ergehen lassen muss, gleichen den Artikeln der Gruppenfreistellungsverordnung, von denen manche schon mehrere Seiten füllen und an Detailwut miteinander konkurrenzieren.
- Dass der Buchbinder Wanninger dann am Ende des Tages doch noch jemanden findet, der wenigstens die Sache kennt, ist die Hoffnung, die sich in ähnlicher Weise aus den erwähnten Rückforderungsbeschlüssen ergibt.
Vielleicht trägt deshalb ja exakt diese Geschichte zu einem besseren Verständnis der EU – Beihilfenkontrolle bei !